Die Welt hat schon einige absurd steile Karrieren gesehen. Kim Kardashian war mal die Assistentin von Paris Hilton, heute ist sie eine globale Medien- und Mode-Magnatin. Bauchtaschen zierten früher nur die allerschlimmsten Touristenoutfits, heute entwerfen sie die angesagtesten Designer. Aber wenige Aufstiegsgeschichten erzählen so viel über unsere Gesellschaft wie die einer kleinen blauen Beere, die einst nur ein Geheimtipp für Großmutters Marmelade war - und heute als «Superfood» gehypt wird. Die Deutschen haben die Heidelbeere, um die es geht, schon in großen Teilen ins Herz gefuttert. Das verdeutlicht eine neue Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur. Unter denjenigen, die Früchte essen (es soll auch noch Skeptiker geben), zählte fast die Hälfte (47 Prozent) die Heidelbeere zum Lieblingsobst. Damit lag sie zwar knapp hinter der Himbeere (53 Prozent), aber beispielsweise deutlich vor der Brombeere (31 Prozent) und der Johannisbeere (24 Prozent). Mehrfachantworten waren möglich. Noch deutlicher wird der Weg der blauen Karriere-Beere, wenn man von dieser Momentaufnahme auf ein größeres Bild schaltet, das sich über die vergangenen Dekaden erstreckt. So sind etwa die Heidelbeer-Flächen in Deutschland in den vergangenen Jahren gewachsen. Das erfährt man, wenn man die «Strauchbeerenerhebung» aufruft, die wirklich so heißt. Die Kulturheidelbeere war demnach 2024 mit einer Anbaufläche von 3.500 Hektar (+0,9 Prozent gegenüber 2023) «die bedeutendste Strauchbeerenart in Deutschland», stellt das Statistische Bundesamt fest. Seit der ersten «Strauchbeerenerhebung» im Jahr 2012 sei die Fläche kontinuierlich ausgeweitet worden. Damals wurden erst auf knapp 1.840 Hektar Heidelbeeren angebaut. Der Verbrauch ist aber noch stärker gestiegen - es gibt mittlerweile enorme Importe aus dem Ausland. «Die Importzahlen für Heidelbeeren haben sich in Deutschland seit 2018 verdoppelt. Seit 2015 haben sie sogar um den Faktor 4,5 zugenommen», sagt Claudio Gläßer, Marktanalyst bei der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft. Spätgeborenen fällt es vermutlich schwer, sich vorzustellen, dass Heidelbeeren irgendwann mal rarer waren als eine günstige Wohnung in einer Großstadt. Früher fand man sie im Supermarkt selten und wenn, dann in eher überschaubaren Mengen. Heute kann man die Beeren zu jeder Jahreszeit nach Hause tragen, oft auch in eimerartigen Kübeln. Marktanalyst Gläßer, Jahrgang 1990 und bekennender Heidelbeer-Esser, kann sich zum Beispiel noch erinnern, wie schwierig es einst war, an die kleinen blauen Knubbel zu kommen. «Ich war froh, als ich irgendwann meinen eigenen kleinen Strauch hatte. Damals war das ein reines Saison-Phänomen.» Heute nicht mehr. «Es gibt mittlerweile keine Phasen im Jahr mehr, in denen es keine Heidelbeeren gibt», sagt Gläßer. Wer versucht, die Gründe für die Expansionsgeschichte der Heidelbeere zu finden, landet mitten im Grundrauschen unserer Zeit: ein bisschen Komplexitätsreduzierung hier, etwas Selbstoptimierung dort. Und Technologie. Zum einen werden Heidelbeeren schon seit Jahren als «Superfood» gehypt. Die zuckerarmen Früchte enthalten laut Bundeszentrum für Ernährung vergleichsweise viel Vitamin E und Mangan. Ihr hoher Gehalt an Anthocyan soll dafür sorgen, dass sie im menschlichen Organismus zellschützend wirken. «Einnahme von 2 × 200 ml Blaubeersaft fünf Tage vor einem Halbmarathon führte am Renntag bei trainierten Läufern zu verzögertem Beginn und weniger starkem Muskelkater», liest man erstaunt in der «Sportärztezeitung». Blaubeeren und Heidelbeeren beschreiben übrigens dieselbe Frucht. Vor allem aber sind Heidelbeeren recht einfach zu handhaben, was in eine Zeit passt, in der man Gutes will, aber bitte ohne allzu klebrige Finger. «Im Kühlschrank halten sich Heidelbeeren zum Beispiel viel besser als andere Beerenfrüchte», sagt Marktanalyst Gläßer. «Im Vergleich zur Erdbeere muss auch nichts geschnippelt werden.» Es bleibe einfach nichts zurück - eine wichtige Eigenschaft für einen Snack. In anderen Ländern würden die Beeren sogar schon als Popcorn-Ersatz im Kino angeboten. Auch Produzenten und Händler kommen mit der Heidelbeere gut zurecht. Die Kulturheidelbeeren, die wir aus dem Supermarkt kennen, stammen nach Angaben des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit nicht von der wild in Europa wachsenden Waldheidelbeere ab, sondern von der Amerikanischen Heidelbeere und anderen nordamerikanischen Arten. Aufgrund einer etwas dickeren Schale sei sie länger lagerfähig. «Unter kontrollierten Bedingungen kann man Heidelbeeren vier bis sechs Wochen lagern», erklärt Analyst Gläßer. Das wirke sich auf die möglichen Transportwege aus. «Heidelbeeren müssen heute nicht mehr eingeflogen werden, sondern können in Containern aus Peru per Schiff importiert werden.» Die Transportkosten seien dadurch niedriger. Derart weit gereiste Früchte haben natürlich nicht unbedingt eine gute Klimabilanz. «So lange Transportwege gehen beinahe zwangsläufig mit hohem Treibstoffverbrauch und damit hohen klimaschädlichen CO2-Emissionen einher», stellt die Plattform Utopia.de fest. Bislang hat das den Boom der Beere aber nicht beendet. Die Heidelbeere ist längst vom Marmeladen-Statisten zur globalen Snack-Ikone geworden. Vielleicht bekommt sie bald eine eigene Doku oder wenigstens einen Podcast.Import-Bombe im Obstregal
Damals freute man sich noch über einen Strauch
Snack der Generation Convenience
Blaue Beeren, lange Wege
Bildnachweis: © Sina Schuldt/dpa
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Die Heidelbeere, die Kim Kardashian des Obstkorbs
Von Omas Marmelade zum «Superfood»: Die Heidelbeere hat sich vom Nischenprodukt zum Trend-Snack entwickelt, wie Zahlen untermauern. Warum sie heute in jedem Supermarkt und Instagram-Feed landet.
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