4. November 2025 / Aus aller Welt

Bürgermeisterin nach Messerattacke: Kompass nicht verlieren

Vor vier Wochen in Lebensgefahr, jetzt als Bürgermeisterin von Herdecke im Ruhrgebiet am Start. Die öffentliche Vereidigung ist geschafft. Welchen Eindruck macht Iris Stalzer?

Die neue Rathauschefin von Herdecke ist in ihr Amt eingeführt
von Yuriko Wahl-Immel, dpa

Feste Stimme, selbstbewusstes Auftreten und auch selbstkritische Worte: Gerade mal vier Wochen sind vergangenen seit dem lebensbedrohlichen Messerangriff auf Iris Stalzer. Und nun steht die Kommunalpolitikerin im kleinen Ratssaal in Herdecke am Rednerpult und tritt offiziell ihr Amt als Bürgermeisterin der Ruhrgebietsstadt an. Die SPD-Politikerin geht direkt auf die Gewalttat gegen sie ein - mutmaßlich begangen von ihrer eigenen Adoptivtochter. 

«Der 7. Oktober, heute vor genau vier Wochen, war für mich ein Tag des Scheiterns und ein Tag der Verletzbarkeit», räumt Stalzer bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der schweren Attacke in ihrem eigenen Haus ein. Dass sich an diesem Dienstag viele Blicke auch bundesweit auf sie richten, dürfte der Juristin dabei bewusst sein. Das gehöre nun genauso zu ihr «wie meine Stärke und meine Verlässlichkeit», betont die 57-Jährige in ihrer Antrittsrede.

Applaus und Blumen zum Empfang für die neue Chefin 

Die Neue an der Spitze wird nach ihrem Amtseid von den knapp 40 Ratsmitgliedern der Kleinstadt mit Applaus bedacht, es gibt ein Blumensträußchen. Dann geht es direkt weiter mit der Tagesordnung in dieser ersten, konstituierenden Sitzung des neu gewählten Stadtrats. 

Äußerlich lässt sich Stalzer nichts anmerken, sie wirkt konzentriert, etwas angespannt, ab und zu lächelt sie. Es sind keine Verbände oder Blessuren sichtbar. Aber die Bilder mit Rettungshubschrauber vom 7. Oktober sind noch frisch, ebenso Berichte über ein wohl stundenlanges Martyrium und furchtbare Verletzungen an Kopf und Körper. Stalzers Adoptivtochter steht unter dringendem Tatverdacht.

Gegen die 17-Jährige ist Haftbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung erlassen worden. Ob womöglich auch der 15 Jahre alte Adoptivsohn an der Gewalttat beteiligt war, untersucht die Staatsanwaltschaft. In der Familie gab es laut Polizei schon länger familiäre Konflikte. Mutter und Kinder hätten sich bei der Polizei auch gegenseitig der häuslichen Gewalt beschuldigt.

Nicht alle finden den frühen Amtsantritt richtig

Dass Stalzer schon so kurz nach der schockierenden Attacke pünktlich zur Arbeit im Rathaus erscheint, war von vielen nicht erwartet worden. Und nicht alle scheinen begeistert. Der Herdecker FDP-Chef Jürgen A. Weber sagt auf dpa-Anfrage, Stalzer solle ihr Amt bis zur juristischen Klärung der Vorfälle ruhen lassen. 

«Für das Amt des Bürgermeisters erwarten die Bürger zu Recht eine integre Persönlichkeit mit einer Vorbildfunktion», mahnt die örtliche FDP. «Die Berichterstattung über die Vorfälle im privaten, häuslichen Umfeld haben bei den Bürgern der Stadt und auch der FDP Zweifel hervorgerufen, ob Iris Stalzer diese Integrität und Vorbildfunktion besitzt», heißt es in der Mitteilung. 

Stalzer traut sich das Amt und seine Herausforderungen zu 

Die Juristin stellt klar, sie sehe sich in der Lage, den Anforderungen des Amtes gerecht zu werden. Es gehe nicht darum, «immer alles im Griff zu haben» oder «allmächtig zu sein», sondern den «inneren Kompass und die Orientierung nicht zu verlieren, auch wenn die eigene kleine Welt aus den Fugen gerät.»

Zu ihrem offiziellen Start sind viele Kameras auf die Politikerin gerichtet. In dem fast wohnzimmerähnlichen Raum im Rathaus drängen sich Medienvertreter. Bürgerinnen und Bürger beobachten die Amtseinführung von der Zuschauerempore aus. Ihre Aufgabe sei es, die Geschicke der Stadt maßgeblich mitzugestalten und dafür werde sie ihre ganze Kraft einsetzen, beteuert Stalzer. Sie werde überparteilich agieren. «Das heißt aber nicht, dass ich meine eigene Meinung an der Rathaustüre abgeben werde.»

Formal hatte die Amtszeit der 57-Jährigen bereits am vergangenen Samstag begonnen. Stalzer hatte die Bürgermeister-Stichwahl Ende September in der 23.000-Einwohner-Stadt im Südosten des Ruhrgebiets mit 52,2 Prozent der Stimmen gewonnen.

Erleichterung und Kritik am Amtsantritt 

Bürger Holger Frohne beobachtet die Amtseinführung - aus politischem Interesse und weil er Stalzer schon seit der Grundschulzeit kennt, wie er sagt. «Ich freue mich, dass es ihr gesundheitlich gut geht. Nach den schweren Verletzungen bin ich positiv überrascht, dass sie so früh wieder auftaucht.» Dennoch sehe er ihren Amtsantritt mit gemischten Gefühlen. 

Eine Seniorin fühlt sich getäuscht: «Ich habe sie gewählt, aber würde das nicht noch mal tun. Sie hätte ihre familiären Probleme vor der Wahl offenlegen müssen», meint die frühere Steuerberaterin. «Ich halte sie unter den bekanntgewordenen Umständen nicht für geeignet, als Bürgermeisterin ist sie schließlich auch Chefin des Jugendamts.»


Bildnachweis: © Christoph Reichwein/dpa
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